Vor kurzem kam ein Artikel mit dem Titel „Full Stack Marketing“ heraus. Darin beschreibt Wade Foster, CEO und Mitbegründer des Online-Dienstes Zapier, welche Fähigkeiten es für einen voll ausgebildeten Online-Marketer braucht. Die Liste umfasst 22 Disziplinen. Die Frage, die sich dabei stellt, lautet: Müssen wirklich all diese Fähigkeiten vorhanden sein, oder ist es nicht sogar besser, Schwerpunkte auf bestimmten Gebieten zu setzen, in denen man seine Stärken bildet?
Experte oder Generalist – oder beides?
Die Diskussion ist nicht neu: Was macht einen Fachmann für Online-Marketing aus? In Punkto SEO kommen ähnliche Fragestellungen immer wieder auf. Braucht man eher einen Experten, oder ist es besser, Generalist zu sein? Wade Foster betrachtet die Fragestellung aus zwei Perspektiven: zum einen aus der Sicht eines Startups, das sich einem Online-Marketer anvertrauen will und zum anderen aus Sicht des Online-Marketers, der Startups als Kunden gewinnen möchte. Nach Ansicht von Foster sollte vom Dienstleister die komplette Bandbreite des Online-Marketings abgedeckt werden. Dazu gehören neben SEO (Onpage und Offpage) auch Fähigkeiten wie Copywriting, also das Schreiben interessanter Texte aus Kundensicht, E-Mail-Marketing, A/B-Tests, analytische Fähigkeiten sowie Stärken im Vertrieb oder dem Business Development.
Insgesamt 22 Disziplinen werden aufgeführt. Da versteht es sich fast von selbst, dass nicht der Experte, sondern der Geberalist gefragt ist. Foster schreibt dies auch wörtlich in seinem Beitrag:
Luckily, you don’t have to be an expert. You only need to be able to get the ball rolling. You only need to know enough to put something in place to build from. You only need to find one or two successful tactics early on to get early traction with the product.
Von allem ein bisschen – genügt das?
Nun kann man sich die Frage stellen, ob es in der Tat ausreicht, wenn man ein bisschen SEO beherrscht, schon mal den einen oder anderen Text verfasst hat oder in der früheren Zeit ein A/B-Experiment durchgeführt hat, um ein guter Online-Marketer zu sein. Genau diesen Eindruck vermittelt aber Fosters Beitrag. Dies wird dadurch verstärkt, dass es jeweils Verweise auf Quellen gibt, mit denen man die einzelnen Disziplinen „lernen“ kann. Es darf aber bezweifelt werden, dass man ein guter SEO ist, wenn man nur das Online-Tutorial von SEOmoz durchgelesen hat – hier und anderswo kommt es vor allem auf fundiertes Wissen und vor allem auf Erfahrung an. Und die sammelt man nicht mal so eben. Alleine das Thema Onpage-Optimierung, das lediglich ein Teilgebiet der Disziplin SEO darstellt, ist so facettenreich, dass erst nach vielen Projekten und Fehlern, aus denen man lernen konnte, die nötige Erfahrung gegeben ist.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass sich die Welt weiter dreht – ganz besonders schnell dreht sie sich im Online-Geschäft. Wer als Dienstleister auftritt, ist stets damit beschäftigt, auf dem Laufenden zu bleiben. Man denke alleine an die Dutzenden Updates, die es Monat für Monat beim Google-Algorithmus gibt. Dazu kommen ständig neue Dienste, neue soziale Netzwerke, neue Marketing-Methoden etc. All diese müssen erfasst und berücksichtigt werden. Wie das für alle genannten Teilgebiete einer einzigen Person möglich sein soll, weiß vermutlich nur der Autor selbst.
Marketing-Projekte brauchen was…?
Was außerdem im Beitrag fehlt, ist die Klammer, die alles zusammen hält. Es kann davon ausgegangen werden, dass es nicht nur an der Erfahrung scheitern wird, all die genannten Wissensgebiete abzudecken – es wird einfach auch nicht genug Zeit für eine einzelne Person da sein. Das bedeutet, mehrere Akteure müssen auf mehreren Gebieten interagieren, um erfogreich zu sein. Dazu bedarf es guter Planung und Koordination – die klassischen Aufgaben im Projektmanagement. Doch Projektmanagement wird im Beitrag überhaupt nicht erwähnt. Vielmehr scheint der Autor davon auszugehen, dass sich das Thema alleine dadurch von selbst regelt, dass alles von ein und derselben Person durchgeführt wird.
Fazit: gute Checkliste, mehr nicht
Wer sich darüber informieren möchte, was alles zu einem vollständigen Online-Marketing gehört, wird Fosters Beitrag nützlich finden. Dieser ist aber von der Praxis ein gutes Stück entfernt – zum einen, weil er unterstellt, dass sämtliche Fähigkeiten in einer Person vereinigt werden können, und zwar in der Qualität, dass es dem Kunden auch einen Vorteil bringt; und zum anderen, weil er mit der Disziplin des Projektmanagements einen entscheidenden Erfolgsfaktor vergessen hat. Trotzdem oder gerade deshalb eine sehr gute Diskussionsgrundlage.
Siehe dazu auch die Diskussion auf SEO-United
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